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ITALO: Der Hochgeschwindigkeitszug von Ferrari
Neue Maßstäbe im italienischen Eisenbahnverkehr
 

von Karl Schambureck, RS-Redakteur

Am 28. April 2012 begann in Italien ein neues Eisenbahn-Zeitalter – und gleichzeitig entstand für die Staatsbahn Trenitalia ein mächtiger Konkurrent: Das Unternehmen NTV (Nouvo Trasporto Viaggiatori), an dem unter anderen Ferrari/Montezemolo und die französische Staatsbahn SNCF beteiligt sind, nahm mit seinen ITALO genannten Zügen den Betrieb auf der Kernstrecke Neapel – Mailand auf.

ITALO wird nach Auslieferung der restlichen Garnituren, die in den nächsten Wochen und Monaten sukzessive erfolgen soll, neun Städte auf den beiden Achsen Turin – Salerno und Venedig – Rom verbinden (siehe Grafik). Strategie von NTV ist es, dem Flugverkehr und Trenitalia etwa ein Viertel der Fahrgäste „abzujagen“.
 

Das Streckennetz des ITALO.

Quelle: NTV

Die in ITALO gesetzten Erwartungen sind hoch, sehr hoch sogar: Der von Alstom für NTV konstruierte AGV (Automotrice Grande Vitesse/Triebwagen für Hochgeschwindigkeit) soll ein Maximum an Technologie, Sicherheit, Umweltfreundlichkeit und Komfort bieten und eine Höchstgeschwindigkeit von 300 km/h erreichen. Benützt wird dasselbe Antriebssystem, welches am 3. April 2007 mit 575 km/h den weltweiten Geschwindigkeitsrekord aufgestellt hat. Vor der Zulassung durchlief der Prototyp bei den Probefahrten in verschiedenen Teilen Europas insgesamt ca. 100.000 km, wobei bis zu 364 km/h erreicht wurden.

Jeder Zug hat eine Länge von 200 m, die elf Wagen verfügen insgesamt über 460 Sitzplätze. Und ein neues Konzept kam zur Anwendung: Das bewusst gewählte Höchstmaß an Komfort und Stil soll allen Reisenden gleichermaßen zur Verfügung stehen; demzufolge wurde auf eine Einteilung in Klassen verzichtet. Die Reisenden können zwischen fünf Bereichen wählen:
Smart (hier steht den Fahrgästen ein Automat für Getränke und kleine Speisen zur Verfügung) mit dem Teilbereich Smart Cinema (dieser Wagen ist am Ende des Zuges positioniert, um zu verhindern, dass durchgehende Reisende stören)
Prima mit dem Ruhebereich Prima Relax, in dem Mobiltelefone und lautes Sprechen nicht erlaubt sind.
Club: hier sorgt ein/e Steward/ess für persönlichen Service. Eine Weltneuheit stellt der direkte TV-Empfang via Satellit dar: Auch bei der Fahrt mit 300 km/h kann das Programm des renommierten Nachrichtenkanals Sky TG 24 empfangen werden. In allen Haltebahnhöfen steht den Reisenden ein eigenes Service- Zentrum zur Verfügung.

Die Instandhaltung der gesamten ITALO-Flotte – sie besteht aus 25 Einheiten, von denen 21 stets im Einsatz sind – ist Alstom übertragen und erfolgt in der Zentrale in Nola bei Neapel, die von NTV mit einer Investitionssumme von 90 Millionen Euro in nur 21 Monaten errichtet wurde. Das Besondere: Der Betrieb mit über 250 jungen Beschäftigten steht auch anderen Eisenbahnunternehmen im Süden zur Verfügung, welche die moderne Ausstattung und die hohe Qualität der Dienstleistungen nützen wollen. Durch Opti mierung der Arbeitsvorgänge ist es gelungen, den Zeitaufwand für ein „Service“ auf ein Minimum zu beschränken:
• Waschstraße: 15 min.
• Innen-Checks: 30 min.
• Ergänzung des Streusands: 15 min.
• Wasser nachfüllen: 30 min.
• Toilettenreinigung: 45 min
• Innenreinigung: 30 min.
• Außen-Checks: 60 min.
 

Die Fahrgäste werden von den kompetenten Stewards/ Stewardessen betreut.

Foto: Karl Schambureck

Völlig neuartig ist das System TrainTracer (deutsch etwa: Zug-Verfolger): Es bewirkt mittels Funk einen kontinuierlichen Daten fluss von den im ganzen Zug verteilten elektronischen Sensoren in die Zentrale. Dort ist es den Technikern nicht nur möglich, Fehler festzustellen und die Ursache zu ermitteln, sondern auch gleichzeitig alles für die Reparatur vorzubereiten. Die Zeit des „Boxenstopps“ kann damit signifikant reduziert werden. Die Züge bleibend damit vorwiegend in ihrem Element: auf den Schienen.

So weit die Fakten: Die Bedeutung des neuen Unternehmens geht indessen weit über Italien hinaus. Folgendes war geschehen: Am 20. April 2012 fand eine Pressefahrt von Rom nach Neapel und retour mit der „ganz normalen“ Höchstgeschwindigkeit von 300 km/h statt. Ferrari-Chef Luca di Monte zemolo bekräftigte in einem Gespräch seine schon Anfang April in einem Inter view mit der Süddeutschen Zeitung geäußerte Absicht, nach Konsolidierung des Betriebes in Italien Züge auch nach Wien(!) und München zu führen.

Eines ist klar: Diese zukunftsweisende und geradezu revolutionäre Strategie kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Somit bleibt nur die Hoffnung, dass die ÖBB zwecks Abschlusses eines joint-venture mit offenen Armen auf den neuen Inter - essenten zugehen. Lange genug haben schließlich die italienischen Staatsbahnen den ÖBB Prügel vor die Füße geworfen – Stichwort: Brenner-Verkehr. Eine realistische Einschätzung macht selbstverständlich klar, dass die Auslieferung von ITALO-Garni - turen für zwei Stromsysteme frühestens in zwei Jahren erfolgen kann. Die Führung lokbespannter Züge in der Relation Venedig – Wien wäre dagegen rasch umzusetzen und würde – bahn - steiggleiches Umsteigen in Venedig-Mestre vorausgesetzt – einen akzep tablen Kompromiss darstellen. Die IC-Busse auf der Pontebbana könnten somit bald der Vergangenheit angehören. Chancen soll man bekanntlich nützen, und sie waren offenbar noch nie so gut.
 

In Rom wird nicht der Hauptbahnhof „Termini“ angefahren, sondern die futuristisch anmutende Station „Tiburtina“.

Foto: Karl Schambureck

 

 

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