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Meridian kämpft mit Startschwierigkeiten
Zu kurzer Zeitraum zwischen Ausschreibung und Betriebsübernahme
 

von Karl-Heinz Dix, RS-Redakteur

Die Ausschreibung des E-Netzes Rosenheim steht unter keinem guten Stern: Möglicherweise fahren ab Dezember ÖBB- und DB-Ersatz-Züge von Salzburg nach München und SEV-Busse zwischen Rosenheim und Holzkirchen statt der modernen Flirt-Triebwagen und eines neuen Fahrplankonzepts.

Meridian ist eine Marke des französischen Veolia-Konzerns, der ab Dezember unter diesem Namen mit seinem Unternehmen „Bayerische Oberlandbahn“ die Bahnstrecken München – Salzburg, München – Kufstein und Rosenheim – Holzkirchen mit neuen, komfortablen Flirt-Triebwagen der Generation 3 der Firma Stadler Pankow bedienen will. Die Probleme: Fünf Monate vor Inbetriebnahme ist weder der drei- noch der sechsteilige Triebwagen zugelassen worden. Auch die Zulassungsunterlagen sind beim Eisenbahn-Bundesamt in Bonn bisher nicht eingetroffen. Es soll auch das erforderliche Betriebspersonal fehlen. Die Werkstatt sollte vorerst in einem Zelt in Freilassing untergebracht werden. Doch auch diese Lösung stößt auf Schwierigkeiten. Auch über die Anerkennung von Fernverkehrs- Pendlerfahrkarten der DB beim Meridian und über die Durchtarifierung gibt es noch keine Einigung. Der Meridian droht abzustürzen. Händeringend klopft BOB-Chef Dr. Axel Sondermann jetzt nach vertraulichen Informationen von Regionale Schienen bei EVUs wie DB und ÖBB sowie Busunternehmen wegen der Überlassung von Personal und Fahrzeugen an, damit der Betrieb auf einigen der wichtigsten Pendler- und Urlauberstrecken Bayerns nicht zum Erliegen kommt.

Das Konzept
Der Freistaat Bayern hatte 2010 das oben erwähnte Netz in der ersten Betriebsstufe mit 4,8 Millionen Zugkilometern pro Jahr ausgeschrieben. Zum Erstaunen vieler Experten erhielt im Dezember 2010 nicht DB-Regio den Zuschlag für das rund 230 Kilometer umfassende Netz, sondern die zum französischen Veolia-Konzern gehörende Bayerische Oberlandbahn (BOB) unter ihrem damaligen, bewährten Geschäftsführer Heino Seeger, mit dem Meridian-Konzept. Dieses stellt deutliche Verbesserung für die Kunden dar und basiert auf drei Achsen, die im Berufsverkehr halbstündlich (sonst stündlich) bedient werden sollen. Die Züge München – Rosenheim – Salzburg sollen dabei zwischen Rosenheim und München Ost ohne Halt fahren; Fahrgäste, die aus Salzburg oder Traunstein kommen und nach Grafing oder Großkarolinenfeld wollen, müssen in Rosenheim umsteigen – und zwar in den Zug aus Kufstein, der zwischen Rosenheim und München Ost überall hält. Durch dieses Konzept wird eine schnellere Verbindung auf der Hauptachse zwischen Salzburg und München gewährleistet. Dafür kaufte Veolia 35 neue Züge des Typs Flirt 3 bei dem Hersteller Stadler Pankow GmbH für etwa 200 Millionen Euro. Veolia hat mit Bedacht keinen der großen Konzerne wie Bombardier oder Alstom gewählt, sondern einen kleineren Hersteller, der Erfahrung im Regionalzugverkehr besitzt: Die Flirt-Züge gibt es beispielsweise schon in der Schweiz und in Südtirol. 28 der Züge sind sechsteilig und 107 Meter lang, sieben sind Drei-Teiler. Im Berufsverkehr sollen zwischen München und Salzburg auch drei aneinander gekoppelte Sechs-Teiler fahren – also mit 999 Sitzplätzen. Die Triebzüge haben auch 1. Klasse- Bereiche, für Dauerkunden soll es die Möglichkeit einer Sitzplatzreservierung geben. Die Fahrzeit für die Züge zwischen München Ost und Salzburg soll 1:50 Stunden betragen. Rosenheim mit 20.000 Reisenden am Tag gehört zu den sieben größten Bahnhöfen Bayerns. Aus der Stadt und dem Landkreis pendeln täglich 13.000 Menschen nach München – die meisten von ihnen mit der Bahn. So sind die Fahrgastzahlen zwischen Rosenheim und München in den letzten Jahren um ein gutes Drittel gestiegen.

Problem 1: die Fahrzeuge
Die neue Flirt-Generation für die BOB weicht technisch (unter anderem bremstechnisch) von den bisher in Betrieb befindlichen Zügen ab. Moritz Huckebrink, Sprecher der deutschen Überwachungsund Zulassungsbehörde Eisenbahn-Bundesamt (EBA) zu Regionale Schienen: „Die drei- und sechsteiligen Züge müssen völlig neu zugelassen werden.“ Zum Stand der Zulassung gibt es nun verschiedene Stellungnahmen. Fahrzeug-Hersteller Stadler Pankow erklärt durch seine Sprecherin Katrin Block: „Wir sind voll im Zeitplan. Wann wir die Unterlagen an das EBA abgeben, können wir nicht sagen. Derzeit finden noch Testfahrten statt.“ Nach Informationen von Regionale Schienen geht Stadler intern davon aus, dass die Fahrzeuge – wie bei den Doppelstock-Triebzügen für die ODEG 2012 – erst mehrere Monate nach dem Betriebsbeginn im Dezember zugelassen werden.

BOB-Chef Sondermann lässt durch seine Sprecherin Gabriele Wischeropp ausrichten: „Hinsichtlich unserer Fahrzeuge läuft derzeit die aufsichtsrechtliche Zulassung durch den Hersteller Stadler Pankow GmbH beim Eisenbahn-Bundesamt. Dieser Prozess ist auf Grund gesetzlicher Regelungen in Deutschland notwendig und wird eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen.“

EBA-Sprecher Huckebrink dementiert hingegen gegenüber Regionale Schienen: „Dem Eisenbahn-Bundesamt liegen noch keine Sicherheitsnachweise und zulassungsrelevanten Unterlagen zur Prüfung vor. Stadler hat einen sehr engen Zeitplan für die Prüfung vorgelegt, der sich bis November erstreckt. Wenn die Unterlagen vollständig sind, kann es mit der Zulassung klappen.“ Zusatz: „Grundsätzlich ist es nicht hilfreich, wenn Unternehmen neue Fahrzeuge unter großem Zeitdruck entwickeln. Schließlich geht es um anspruchsvolle Produkte, an deren Sicherheit man sehr hohe Anforderungen stellt.“ Generell verlangt das EBA eine viermonatige Frist für die Prüfung der Unterlagen. Alleine deshalb sind die Fristen schwer einzuhalten. Und es wäre der erste Fall, bei dem das EBA nicht nachträgliche Forderungen vor einer Zulassung gestellt hätte – mit der Folge einer verspäteten Inbetriebnahme ….

Fakt ist: BOB-Chef Sondermann sucht inzwischen nach Ersatzlösungen, falls die Flirt doch nicht zugelassen werden – aber möglicherweise viel zu spät. Ein Sprecher der Deutschen Bahn zu Regionale Schienen: „Als zu Jahresbeginn in Münchner Zeitungen die ersten Spekulationen über einen Fehlstart des „Meridian“-Projektes auftauchten, haben wir der BOB unsere Hilfe angeboten. Wir haben aber auch klar gesagt, dass wir bis März eine Antwort brauchen, da wir dann Fahrzeuge und Personal anders disponieren.“ Doch der neue BOB-Chef Sondermann meldete erst im Juni einen Bedarf von zwei Wendezügen für die Strecke München – Salzburg an. Der DB-Sprecher: „Wir prüfen das natürlich, haben aber Fahrzeuge und Personal weitgehend anderweitig disponiert.“ Sondermann versucht jetzt bei der ÖBB Züge samt Personal sowie bei privaten Busunternehmen Busse samt Fahrer einzukaufen, um den Verkehr aufrechtzuerhalten. Sondermann zu Regionale Schienen: „Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, um den Betrieb des „Meridian“ mit einem belastbaren Betriebskonzept zum Fahrplanwechsel aufzunehmen.“

Der Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG), welche das Streckennetz an die BOB vergeben hat, sind die Hände gebunden.
 

Mit dem ersten Sechsteiler von 35 drei- und sechsteiligen Flirt werden auf dem tschechischen Eisenbahnversuchsring in Velim die erforderlichen Testfahrten absolviert. Wenn der erste Dreiteiler fertig ist, muss dieser das gleiche Prozedere durchlaufen. Seit Mitte Juli weilen zwei Triebzüge für Testfahrten in Österreich. Eine rechtzeitige Inbetriebnahme aller Flirt scheint knapp zu werden.

© Foto: Stadler Pankow GmbH

Problem 2 : das Personal
Es ist ein offenes Geheimnis, dass der BOB für den „Meridian“ Triebfahrzeugführer, Zugbegleiter, Werkstättenmitarbeiter, Disponenten fehlen. Ein Blick auf die Stellenausschreibungen auf der Internetseite von BOB und „Meridian“ reicht. Die ursprüngliche Annahme von Veolia, dass viele DB-Mitarbeiter zur BOB wechseln würden, um weiter heimatnah eingesetzt zu werden, geht nicht auf. Ein Sprecher der DB: „Die meisten Mitarbeiter bleiben im Konzern und erhalten ab Dezember an anderen Einsatzorten neue Arbeitsplätze.“ Das hat nicht nur mit den niedrigeren Löhnen bei der BOB zu tun, sondern auch mit Vorgängen in der Vergangenheit. So hat der unwürdige Rausschmiss des langjährigen und erfolgreichen BOB-Geschäftsführers Heino Seeger – Regionale Schienen berichtete – viele DB-Mitarbeiter verunsichert. Ein befreundeter Lokführer zum Autor dieses Beitrags: „Wenn die mit ihren Chefs schon so umgehen, was machen die dann erst mit einfachen Lokführern. Da will doch keiner hin.“

BOB-Chef Sondermann sieht dieses Problem nicht: „Wir sind derzeit noch im Bewerbungs- und Einstellungsprozess. Die ersten Ausbildungsgruppen für Triebfahrzeugführer sind erfolgreich abgeschlossen, und die neuen Mitarbeiter fahren bereits bei der BOB und ihrer Schwestergesellschaft, der Bayerischen Regiobahn“, sagt er zu Regionale Schienen. Weil das nicht reicht, wurden ca. 30 Veolia-Lokführer aus Leipzig für ein bis zwei Jahre nach Oberbayern zwangsverpflichtet, die durch eine verlorene Ausschreibung sonst ihren Arbeitsplatz verlieren würden.

Problem 3: die Werkstatt
Eigentlich sollten die „Meridian“-Züge ab Fahrplanwechsel in einer neu gebauten Werkstatt neben der Hauptwerkstätte der Münchner Verkehrsgesellschaft MVG an der Ständlerstraße im Münchner Osten gewartet werden. Da steckte ein wenig die Hoffnung des früheren BOB-Chefs Heino Seeger dahinter, sich eventuell gemeinsam mit der MVG an der Ausschreibung für die Münchner S-Bahn, deren Netz noch dieses Jahr ausgeschrieben wird, zu beteiligen und hier schon eine technische Basis zu begründen. Aufgrund von Anwohnerprotesten ist der Werkstattbau in weiter Ferne und die Wartung der Flirt derzeit ungeklärt. Als Ersatzkonzept wollte die BOB die Meridian-Züge zunächst in einem neu aufzustellenden Zelt in Freilassing warten lassen. Doch auch das scheint zu scheitern. Gegenüber Regionale Schienen brachte Geschäftsführer Sondermann jetzt eine neue Variante ins Spiel: „Alternativ prüfen wir gerade noch eine weitere Möglichkeit in Regensburg. Wir werden auf jeden Fall eine Lösung für die Wartung der Fahrzeuge sichergestellt haben“, erklärte Sondermann. Die Werkstatt in München soll nun erst 2015 realisiert werden. Die Verlagerung nach Regensburg bedeutet, dass die Züge im großzügigen Werk des Hamburger Konkurrenten Agillis gewartet werden müssen. Ob dann aufgrund der längeren Anfahrtszeiten zu Fristarbeiten und Reparaturen noch genug Fahrzeuge für die Abdeckung aller Umläufe zur Verfügung stehen, ist eine andere Frage.

Problem 4: die Tarife
Bereits kurz nach der Vergabe an Veolia hatte der Fahrgastverband PRO BAHN auf die Tarifproblematik aufmerksam gemacht und im April 2012 in Briefen an Ministerpräsident Horst Seehofer und Verkehrsminister Martin Zeil kritisiert, dass der Freistaat Bayern das Bahnfahren komplizierter macht. Norbert Moy, Vorsitzender von PRO BAHN Oberbayern, sieht ein ganzes Bündel von Problemen auf die Bahnkunden zukommen: „Bisher kann man mit einem Intercity- Ticket auch die Regionalzüge der DB benutzen. Das ist mit den Meridian-Zügen nur möglich, wenn sich die DB und Veolia noch einigen. Ohne eine Kooperation wäre es nicht mehr möglich, mit einem durchgehenden Fahrschein beispielsweise von Augsburg nach Berchtesgaden zu fahren. Verpasst man in München wegen einer Zugverspätung den Anschluss Richtung Rosenheim, kann man heute problemlos den folgenden Zug benutzen. Auch diese kundenfreundliche Regelung ist in Frage gestellt.“

PRO BAHN kritisiert in dem Zusammenhang, dass nicht bereits in der Ausschreibung die tarifliche Eingliederung vorgeschrieben wurde. Die Behauptung der BEG, dies sei rechtlich nicht möglich, stößt auf Unverständnis. Norbert Moy: „Wieso soll in Bayern unmöglich sein, was in anderen Bundesländern seit Jahren praktiziert wird?“ Wegen der Größe des Meridian-Netzes und der zahlreichen Verflechtungen mit anderen Bahnunternehmen sieht er in der drohenden Entwicklung einen Schaden für die ganze Region. „Überdies steht Bayern als Schlusslicht bei den Bahntarifen da“, beschreibt Moy die Situation.
 

Meridan-Flirt: Probefahrt auf dem tschechischen Versuchsring.

© Foto: Robert Schrempf

Die Ursachen für die Verzögerung:
Es gibt vielfältige Ursachen. Ein Hauptgrund: die zu kurzen Ausschreibungsfristen. Drei Jahre zwischen Vergabe und Indienststellung neuer Fahrzeuge sind offensichtlich zu knapp. In den vergangenen Jahren wurde jedenfalls in Deutschland kein Schienenfahrzeug fristgerecht zugelassen.

Die Lösung der Probleme:
Die verzögerte Zulassung von Fahrzeugen, die Stilllegung von bestimmten Neubau-Fahrzeugen wegen auftretender Probleme sowie die nur geringen Fahrzeugreserven (zehn Prozent) der EVUs (auch die DB hat ihren Zugbestand abgesenkt) veranlassen die BEG zu Reaktionen. BEG-Geschäftsführer zu Regionale Schienen: „Wir werden einerseits einen Bestand an wirtschaftlich abgeschriebenen Gebrauchtzügen aufbauen. Dieser soll bei der DB stationiert, gewartet und mit deren Lokpersonalen besetzt werden, aber bei Engpässen allen Eisenbahnverkehrsunternehmen im Freistaat zur Verfügung stehen. Außerdem werden wir bei künftigen Ausschreibungen die Verpflichtung, zehn Prozent Fahrzeuge als Reserve bereitzuhalten, erweitern.“
 

Zum Autor: Karl-Heinz Dix

Karl-Heinz Dix ist Ressortleiter „Wirtschaft“ bei der Münchner Boulevardzeitung tz und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Bahn- und Verkehrsthemen. Er hat zusammen mit dem langjährigen Bahnsprecher Horst Staimer 2007 das Buch „Die Münchner S-Bahn. Vom Dampfzug zum Zehn-Minuten-Takt“ veröffentlicht.

 

 

Dieser Artikel ist in der RS-Fachzeitschrift 3/2013 erschienen.

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