Die Zukunft der Stadt ... ... liegt in der Besinnung auf ihre Stärken
Kleinteiligkeit, funktionale Durchmischung und räumliche Qualität
von Reinhard Seiß
Vieles von dem, was seit
Einzug des Autoverkehrs
in die Stadtplanung in
unseren Städten gebaut
und gestaltet wurde,
verdient kaum mehr das
Attribut „urban“. Dies
beginnt im Straßenraum,
der sich vom
öffentlichen Raum für
alle faktisch in einen
Autoverkehrs- und
Autoparkraum verwandelte
– wo das Zu- Fuß-Gehen,
das Radfahren, das
Sich-Aufhalten, Spielen
oder Kommunizieren an
den Rand gedrängt oder
gar verunmöglicht wurde.
Das setzt sich fort bei
der Bebauung, die eine
Maßstäblichkeit erreicht
hat, die nicht mehr am
zu-Fuß-gehenden, sondern
am autofahrenden
Stadtbenutzer orientiert
ist: Einzelne Gebäude
haben die Dimension
ganzer Baublöcke
erreicht und lassen –
sich oft nach außen hin
abschottend – den
Straßenraum veröden,
anstatt ihn zu beleben.
Diese abweisende Haltung
zeigt sich auch darin,
dass viele Bauten nur
noch indirekt vom
öffentlichen Raum aus
erschlossen werden:
Statt durch mehrere
Hauseingänge „betritt“
man sie zentral via
Tiefgarage.
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Baublockgroße Gebäude, die sich gegen den öffentlichen Raum
verschließen und hauptsächlich durch die Tiefgarage erschlossen
werden, lassen den städtischen Straßenraum veröden (Wien, Nordbahnhof-
Gelände).
Foto: Reinhard Seiß / URBAN+ |
Schließlich dienen viele
Neubauten, ja ganze
Stadtteile nur noch
einer einzelnen
Funktion: sei es Wohnen
in der Wohnanlage oder
Arbeiten im Büroviertel
bzw. im Gewerbegebiet,
seien es Handel und
Dienstleistung im
Einkaufszentrum oder
Bildung am Schul- bzw.
Universitätscampus. Vor
allem das lässt unsere
Städte in weitgehend
leblose und auch
städtebaulich meist öde
Teilbereiche zerfallen,
die nur noch mit dem
Auto zusammengehalten
werden. So ist es kein
Wunder, dass sich viele
Menschen durch diesen
Verlust ursächlich
städtischer Qualitäten
für ein Verlassen der
Kernstädte und die
Abwanderung in suburbane
Gebiete entscheiden – wo
dem autoabhängigen Leben
zumindest sauberere
Luft, weniger Lärm und
mehr Grün als in den
Zentren gegenüberstehen.
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Urbaner Lebensraum? „Die Stadt“ ist eigentlich das, was zwischen
den Gebäuden ist. Für wirkliches Leben ist da längst kein
Platz mehr, auch nicht in Seitengassen oder Innenhöfen (Wien,
4. Bezirk).
Foto: Reinhard
Seiß / URBAN+ |
Damit liegt es aber auch
auf der Hand, wie es
gelingen kann, die
Menschen für ein Leben
in der Stadt wieder zu
gewinnen und unsere
Städte zukunftsfähig zu
gestalten: Der
massenhafte Gebrauch des
Autos in den
Ballungsräumen muss
sowohl als Ursache wie
auch als Auswirkung des
derzeitigen Städtebaus,
der derzeitigen
Stadtentwicklung massiv
zurückgedrängt werden.
Das heißt, dass die
Planungspolitik bei der
Entwicklung neuer
Stadtteile auf
Baublock-, ja auf
Gebäudeebene eine
kleinstrukturierte
Durchmischung mit
unterschiedlichen
Nutzungen vorschreiben
müsste, die es wieder
ermöglicht, zwischen
Wohn-, Arbeits- und
Einkaufsort ohne Auto zu
verkehren.
Das würde etwa für den
künftigen Standort der
größten Universität
Österreichs, der
Wirtschaftsuniversität
Wien, die Abkehr vom
geplanten Bildungscampus
inmitten der Stadt zu
Gunsten einer
Verflechtung
universitärer Bauten mit
Wohnungen und Büros
bedeuten – oder für das
derzeit größte
Bauprojekt des Landes,
das neue Viertel um den
Wiener Hauptbahnhof,
kein isoliertes
Nebeneinander von Büro-,
Wohn- und
Einkaufskomplexen,
sondern ein urbanes
Miteinander. Dies würde
vor allem im Wohnbau
auch die Chance
eröffnen, die
Sockelzonen wieder
anders zu nutzen als für
Garagen, Fahrrad-,
Haustechnikund Müllräume
– zumal vitale
Erdgeschosse die
Voraussetzung für
belebte öffentliche
Räume sind.
Im selben Zug müssten
sämtliche Planungs-,
Förderungs- und
Steuergesetze, die den
Autoverkehr in der Stadt
forcieren, reformiert
werden: Dies beginnt bei
der überzogenen Zahl von
Stellplätzen, die laut
Landesbauordnungen bei
Neubauten errichtet
werden müssen, führt
über die mangelnde
Bewirtschaftung bzw.
Besteuerung von
ebenerdigen Parkplätzen
sowie über die nach wie
vor praktizierte
Genehmigung von Handels-
oder auch
Büro-Großprojekten am
Stadtrand und endet bei
der Wohnbauförderung,
die in den meisten
Bundesländern unabhängig
von der Erschließung
eines Standorts durch
Öffentlichen Verkehr
gewährt wird.
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Dort wo der öffentliche Raum tatsächlich von der Öffentlichkeit
genutzt werden kann, lebt die Stadt. (Wien, neugestalteter
Yppenplatz)
Foto: Reinhard
Seiß / URBAN+ |
Im Gegenzug bedürfte es
des flächendeckenden
Ausbaus und der
Verbesserung der Netze
für Straßenbahnen,
Radfahrer und Fußgänger
– mit demselben Geld,
das etwa in Wien für die
überzogenen
Verlängerungen der
prestigeträchtigen
U-Bahn bis an den
Stadtrand ausgegeben
wird. Genauso bräuchte
es eine Offensive für
die Schnell- bzw.
Regionalbahnen in den
Stadtregionen anstelle
(wie ebenfalls in Wien)
der Ausdünnung des Takts
und der Stilllegung von
Stationen – zumal die
Städte erst dann wieder
urban werden können,
wenn sie auch vom
Autoverkehr der täglich
zu Hunderttausenden in
die Zentren strömenden
Pendler befreit sind.
Zum Autor |
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Dr. Reinhard Seiß
Studium der Raumplanung
und Raumordnung an der
TU Wien, Tätigkeit als Planer,
Filmemacher und Fachpublizist,
Autor von „Wer
baut Wien?“ (Verlag Anton
Pustet, Salzburg 2007),
schreibt u. a. für FAZ, Süddeutsche
Zeitung, Neue
Zürcher Zeitung und Die
Presse (Spectrum), Produktionen
für Fernsehen und
Hörfunk, internationale
Lehr- und Vortragstätigkeit,„RudolfWurzer Würdigungspreis“
für Raumplanung und Stadtentwicklung, Förderungspreis der
Stadt Wien für Volksbildung, Mitglied des Beirats für Baukultur
im Bundeskanzleramt, Mitglied der Deutschen Akademie
für Städtebau und Landesplanung. |
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